hello world!
hello world!

Wer haftet bei Stürzen in Linienbussen?

In öffentlichen Verkehrsmitteln kommen Fahrgäste immer wieder zu Fall und verletzen sich. Wie bei jedem Schaden, stellen sich aber auch hier die Fragen nach Ursache und Haftung.
Informationen
18.10.2023
ca. 3 Minuten
Kategorien

Das OLG Schleswig hatte 25.04.2023 drüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der Halter eines Linienbusses für Verletzungen von Fahrgästen haftet, wenn diese bei einer Bremsung des Busses stürzen (Az. 7 U 125/22). Die Besonderheit des zu beurteilenden Sachverhalt bestand in der scharfen, die der Busfahrer durchführen musste, um den Zusammenstoß mit einer – erst im letzten Moment wahrgenommenen – Fußgängerin zu vermeiden.

Das Ergebnis war eindeutig – an und für sich

Den Leitsätzen des Urteils zufolge, verdränge das Eigenverschulden eines Fahrgastes, der sich nicht ordnungsgemäß festgehalten hat, grundsätzlich vollständig die Gefährdungshaftung aus einfacher Betriebsgefahr. Schließlich sei jeder Fahrgast selbst dafür verantwortlich, durch typische oder zu erwartende Bewegungen eines Busses nicht zu Fall zu kommen. Zudem sei im Stadtverkehr jederzeit mit plötzlichen Bremsmanövern zu rechnen, was bei der Wahl der Sicherheitsvorkehrungen zu berücksichtigt werden müsse.

Grundsätzlich ist damit eigentlich alles gesagt. “Grundsätzlich” bedeutet aber eben nicht absolut; und eine “einfache Lösung” gibt es eben auch bei Fahrgastunfällen nicht.

Müssen Busfahrer warten, bis zugestiegene Fahrgäste sitzen?

So hatte sich Jahr 2013 z.B. bereits das Landgericht (LG) Wuppertal (Urt. v. 15.07.2013, Az. 2 O 58/13) mit der “Wartepflicht” von Busfahrern auseinanderzusetzen. Bezug nehmend auf ein Urteil des BGH vom 01.12.1992 (Az. VI ZR 27/92) kam es dabei zu dem Schluss, einen Fahrgast treffe bei einem Sturz ein ganz überwiegendes Eigenverschulden, “wenn er nach dem Einsteigen in einen Linienbus nicht einen der nächsten freien Sitzplätze besetzt oder sich auf andere Weise einen sicheren Halt verschafft.

Die primäre Aufgabe des Busfahrers bestehe darin, sich um den äußeren Verkehr zu kümmern. In Bezug auf einzelne Personen müsse er sich vor dem Anfahren nur dann vergewissern, ob diese Platz oder Halt im Wagen gefunden hätten, wenn sich z.B. aufgrund einer erkennbaren schwere Behinderung die Überlegung aufdränge, diese werde beim Anfahren stürzen.

Die Haftung aus Betriebsgefahr ist nicht zwingend gegeben

Es kann daher nicht verwundern, z.B. auch das OLG Celle nach einem Sturz die Haftung aus Betriebsgefahr abgelehnt hatte (OLG Celle, Beschl. v. 26.06.2018, Az. 14 U 70/18). Anders als die Vorinstanz (LG Lüneburg, Urt. v. 05.03.2018, Az. 1 O 65/17) hatte es die Auffassung vertreten, der Führer eines Kraftfahrzeugs hafte lediglich für vermutetes Verschulden nach § 18 StVG oder für nachzuweisendes Fehlverhalten nach § 823 BGB.

Das OLG Celle konkretisierte dies später dahingehend, der Beweis des ersten Anscheins streite gegen den Fahrgast und spreche für mangelnde Vorsicht auf Seiten des Fahrgastes.

Auch das OLG Schleswig sah die Verantwortung dafür, durch typische oder zu erwartende Bewegungen eines Busses nicht zu Fall kommen, bei dem Fahrgast. Dazu gehört u.a. auch, bei ausgelöstem Haltesignal solange sitzen zu bleiben, bis der Bus die Haltestelle erreicht hat. Bei stehendem Transport sollten sich Fährgäste im fortgeschrittenen Alter mit beiden Händen an der Haltestange festhalten.

Gleiches gelte für den Vorgang des Anfahrens. Dieses sei eine besonders gefahrenträchtige Situation, bei der die Betriebsgefahr des Fahrzeugs grundsätzlich hinter das Verschulden des Fahrgastes zurück tritt, wenn dieser sich – z.B. an einer Haltestange – keinen sicheren Halt verschafft (Urt. v. 17.02.2017, Az. 11 U 21/16).

Keine Regel ohne Ausnahme

Anderes gelte, wenn sich dem Fahrer – z.B. aufgrund einer erkennbaren, schwerwiegenden Behinderung des Fahrgastes – die Überlegung aufdrängt, dieser werde beim Anfahren stürzen. Hohes Alter des Fahrgastes, das Mitführen eines Einkaufstrolleys oder eines Schwerbehindertenausweis reichten alleine nicht aus.

Erforderlich seien vielmehr äußerlich erkennbare Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer – über das verkehrserforderliche Maß hinausgehenden – Sorgfalt (vgl. OLG München, Urt. v. 11.05.2007, Az.10 U 4405/06). Dies könne z.B. bei erkennbar gehbehinderten oder blinden Personen der Fall sein (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 22.07.1970, Az. 1 U 62/70; OLG Köln, Urt. v. 20.07.1990, Az. 11 U 17/90).

Praxistipp

Enge Taktungen und unvorhergesehene Verzögerungen stellen an das Fahrpersonal nicht selten erhöhte Anforderungen, wenn es um die Einhaltung der Fahrpläne geht. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, sollte sich daher nicht darauf verlassen, sich dieses werde sich erst in Bewegung setzen, nachdem man seinen Platz eingenommen hat.

Das OLG Schleswig kam am Ende zu einer hälftigen Schadensteilung. Den Ausschlag gab, neben dem Umstand, dass der Fahrgast sich nicht ordnungsgemäß festgehalten hatte, die schuldhaft eingeleitete Notbremsung des Fahrers.

Schließlich entscheiden auch hier die Umstände des Einzelfalls über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs. Wer bei der Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels zu Schaden kommt, sollte die Flinte nicht ins Korn werfen, sondern zunächst anwaltlichen Rat einholen.

Bildnachweis: Mario Venzlaff / Pixabay

Beitrag teilen bei
Zurück zur Übersicht
calendar-fullhistorymagnifiercross