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Muss sich ein Beifahrer bei der Geltendmachung eigener Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall ein Mitverschulden des Fahrers anrechnen lassen?

Das Oberlandesgericht München (OLG) hatte mit Urteil vom 12.01.2018 (Az.: 10 U 2718/15) in der Berufungsinstanz darüber zu entscheiden, ob einer Beifahrerin wegen unfallbedingt erlittener Verletzungen ein Schmerzensgeld zusteht und ob sie sich ein Mitverschulden ihres Fahrers anspruchsmindernd zurechnen lassen muss. Was war passiert? Die Klägerin war am 27.08.2013 zusammen mit ihrem Ehemann in München […]
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02.02.2018
ca. 4 Minuten
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Das Oberlandesgericht München (OLG) hatte mit Urteil vom 12.01.2018 (Az.: 10 U 2718/15) in der Berufungsinstanz darüber zu entscheiden, ob einer Beifahrerin wegen unfallbedingt erlittener Verletzungen ein Schmerzensgeld zusteht und ob sie sich ein Mitverschulden ihres Fahrers anspruchsmindernd zurechnen lassen muss.

Was war passiert?

Die Klägerin war am 27.08.2013 zusammen mit ihrem Ehemann in München mit dem PKW unterwegs. Der Ehemann, der auch gleichzeitig Halter war, führte das Fahrzeug. Als sich die Klägerin gerade in den Fußraum beugte, um nach heruntergefallenen Gegenstanden zu suchen, wechselte ihr Ehemann nach links auf den benachbarten Fahrstreifen. Nach dem Fahrstreifenwechsel bremste der Ehemann der Geschädigten und späteren Klägerin, um auf eine Bremsung des vorausfahrenden Fahrzeugs zu reagieren. Daraufhin fuhr die Schädigerin und spätere Beklagte zu 1) auf das Fahrzeug des Ehemanns der Geschädigten auf. Anlässlich des Aufpralls verletzte sich die zu diesem Zeitpunkt immer noch in den Fußraum vorgebeugte spätere Klägerin. In einem gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten wurde festgestellt, dass die Geschädigte zunächst mit ihrem Kopf gegen das Armaturenbrett prallte und anschließend mit ihrem linken Ellenbogen gegen die Mittelkonsole schleuderte. Dabei erlitt die spätere Klägerin eine leichte Schädelprellung und HWS-Distorsion, sowie ein eingekapseltes Hämatom im Unterarm mit Resteinblutung.

Was waren die Folgen des Unfalls?

Aufgrund dieser Unfallfolgen war die Geschädigte, die zum Unfallzeitpunkt eine Bürotätigkeit im Umfang von 10 Wochenstunden ausübte, bis zum 10.04.2014 arbeitsunfähig. Zudem war sie in der Haushaltsführung eingeschränkt, weshalb ihr Ehemann zwischenzeitlich ersatzweise die Haushaltsführung im notwendigen Umfang übernahm. Vor dem Landgericht München (LG) begehrte die Klägerin gegenüber der Unfallgegnerin (Beklagte zu 1) und deren KFZ-Haftpflichtversicherung (Beklagte zu 2) angemessenes Schmerzensgeld, Verdienstausfall in Höhe von 4.041,70 Euro und Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens.

Die gerichtlichen Entscheidungen der ersten und zweiten Instanz

Das Landgericht München hat die Schadensersatzansprüche der Klägerin erstinstanzlich verneint und die Klage vollumfänglich abgewiesen. Gegen das ablehnende Urteil hat die Klägerin rechtzeitig Berufung vor dem OLG eingelegt. Das OLG hat der Klägerin unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils Schadensersatz in Höhe von 2.686,96 Euro und weitergehend Schmerzensgeld in Höhe von 950,00 Euro nebst Zinsen, sowie den teilweisen Ersatz ihrer außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zugesprochen. Im Rahmen seiner Entscheidung befasst sich das OLG mit der Frage, ob sich die Klägerin ein Mitverschulden ihres Ehemannes anspruchsmindernd zurechnen lassen muss und verneinte diese Frage in Ermangelung einer einschlägigen Rechtsgrundlage.

Der Ehemann ist kein weisungsgebundener Verrichtungsgehilfe

So verneint das Gericht eine Verschuldenszurechnung nach §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB, wonach eine Person sich das Verschulden eines Dritten zurechnen lassen muss, wenn sie zur Erfüllung einer ihr obliegenden vertraglichen Verbindlichkeit eine Dritte Person einschaltet. Das OLG verneint hier zu Recht eine Zurechnung nach dieser Anspruchsgrundlage, da es zwischen der Klägerin und der Unfallgegnerin bzw. der Haftpflichtversicherung der Unfallgegnerin bereits an einem zu erfüllenden schuldrechtlichen Vertrag fehlt. Auch eine möglich Zurechnung eines etwaigen Mitverschuldens des Ehemanns am Unfallgeschehen aus § 831 BGB verneint das OLG und führt dazu aus:

Ebenso wenig war der Ehemann ein weisungsgebundener ‚Verrichtungsgehilfe‘ i.S.d. § 831 BGB. Dass es sich bei dem Fahrer um den Ehemann handelte, genügt nicht für die Zurechnung (vgl. BGH NJW 1961, 1966; NZV 2007, 610; KG NZV 1995, 103; VRS 116, 183: MDR 2010, 13187).

Besondere Umstände des Einzelfalls können ein Mitverschulden begründen

Nachdem das OLG die Kürzung der Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen einer schuldhaften Mitverursachung des Unfalls durch den Ehemann aus allen rechtlichen Gesichtspunkten abgelehnt hatte, gelangte es letztlich aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls wegen eines Eigenverschuldens der Klägerin zu einer Kürzung der geltend gemachten Schadensersatzansprüche.

Das OLG legte der Klägerin zur Last, dass sie durch ihr starkes Vor- bzw. Herabbeugen bis in den Fußraum des Fahrzeugs die Schutzfunktion des Sicherheitsgurtes vollständig aufgehoben habe. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die unfallbedingten Verletzungen der Klägerin nicht eingetreten wären, wenn sie zum Unfallzeitpunkt aufrecht in üblicher Sitzposition im Fahrzeug gesessen hätte, da dann der Sicherheitsgurt seiner üblichen Rückhaltefunktion nachgekommen wäre. Nach Auffassung des OLG begründet das nicht ordnungsgemäße Verwenden eines Sicherheitsgurtes genau wie ein Nichtverwenden des Sicherheitsgurtes ein Mitverschulden, welches das Gericht mit 40 Prozent bewertete.

Unter Berücksichtigung dieser Mitverschuldensquote hielt das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.250,- Euro für angemessen. Nach Abzug einer vorab geleisteten Teilzahlung von 250,- Euro verurteilte es die Beklagten daher zu einer Zahlung von weiteren 950,- Euro Schmerzensgeld. Zum Ausgleich des geltend gemachten Verdienstausfalls und des eingetretenen Haushaltsführungsschadens verurteilte das Gericht die Beklagten unter Berücksichtigung der festgelegten Mitverschuldensquote zu einer Zahlung von weiteren 2.686,96 Euro.

Kanzlei Voigt Praxistipp:

Die Entscheidung des OLG München verdeutlicht, dass ein Beifahrer sich bei der Geltendmachung eigener Schmerzensgeldansprüche ein Mitverschulden seines Fahrers am Unfallgeschehen nicht anspruchskürzend entgegenhalten lassen muss. Solange er nicht selbst ausnahmsweise durch sein Verhalten ein eigenes Mitverschulden begründet, steht der Geltendmachung ungekürzter Schmerzensgeldansprüche grundsätzlich nichts im Wege. Wenn der Beifahrer sich mit angelegtem Sicherheitsgurt in der normalen Sitzposition auf dem Beifahrersitz oder der Rückbank des Fahrzeugs befindet, dürfte für die Annahme eines eigenen Mitverschuldens, das zu einer Anspruchskürzung führt, regelmäßig kein Raum verbleiben. Vor allem bei erheblichen Verletzungen sollten Beifahrer daher ihre berechtigten Schadensersatzansprüche verfolgen.

Damit diese tatsächlich vollständig und in angemessener Höhe gegenüber dem gegnerischen Haftpflichtversicherer durchgesetzt werden, ist es dem Geschädigten dringend zu empfehlen, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die im Schadensrecht hochspezialisierten Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt beraten Sie kompetent und sorgen bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche für Waffengleichheit mit der der gegnerischen Haftpflichtversicherung.

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