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Müssen Geschädigte das Restwertangebot des Versicherers abwarten?

Unfallgeschädigte müssen das Restwertangebot der Versicherung nicht abwarten.
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10.08.2022
ca. 6 Minuten
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Angesichts der gefestigten und eindeutigen Rechtsprechung zum Thema Restwertbörse, die nicht zuletzt und wiederholt durch das Urteil des BGH vom 27.09.2016 (Az. VI ZR 673/15) bestätigt wurde, sollte eigentlich alles klar sein.

Dennoch bemühen die Versicherungen immer wieder Restwertangebote des Sondermarktes, um dem Geschädigten den ihm zustehenden Schadenersatz zu kürzen. So verhielt es sich auch in dem Sachverhalt, den das Landgericht Bonn im Januar 2017 zu Gunsten des Geschädigten entschied.

Was war passiert?

Das Fahrzeug des Geschädigten wurde bei einem Unfall total beschädigt. Der Geschädigte beauftragte einen Sachverständigen mit der Erstellung des Gutachtens zur Schadenfeststellung. Der Sachverständige erledigte den Auftrag und holte Restwertangebote auf dem relevanten regionalen Markt ein. Auf dieser Grundlage verkaufte der Geschädigte das Fahrzeug, ohne dass dies mit weiteren Anstrengungen verbunden war, an einen im Gutachten genannten Aufkäufer. Das Gutachten wurde an die Versicherung des Schädigers weitergeleitet, die ihrerseits Angebote – auf dem nicht allgemein zugänglichen Sondermarkt – einholte.

Dabei erhielt sie ein Gebot eines spezialisierten Restwertaufkäufers, das oberhalb des vom Sachverständigen ermittelten Wertes lag. Zu diesem Gebot rechnete sie ab und verweigerte dem Geschädigten, der sein Fahrzeug inzwischen verkauft hatte, den Schadenersatz in Höhe der Differenz. Ihrer Ansicht nach hätte der Geschädigte das Gutachten vorlegen und mit dem Verkauf des beschädigten Autos warten müssen, bis sie – möglicherweise – ihrerseits ein verbessertes Restwertangebot erzielt hätte.

Zur Kürzung sei sie berechtigt, weil sie den Geschädigten im Unfallfragebogen angewiesen hätte zu warten. Da der Geschädigte das Fahrzeug dennoch verkaufte, habe er gegen seine Schadenminderungspflicht verstoßen. Der Geschädigte sah das anders. Schließlich hatte der Sachverständige die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung beachtet. Am Ende entschied das Gericht.

Was sagen die Gerichte?

Das Landgericht Bonn hätte sich zurücklehnen und sich auf die gefestigte, obergerichtliche Rechtsprechung berufen können. Das tat es aber nicht. Vielmehr setzte es sich mit der Rechtsprechung und dem Meinungsstand zum Thema Restwertbörse auseinander, bevor es sich der herrschenden Meinung und der BGH-Rechtsprechung anschloss und dem Ansinnen des Schädigers und seiner Versicherung eine Absage erteilte.

Die Ansicht der Mindermeinung

Eine Mindermeinung (z.B. OLG Köln, Beschluss vom 16.07.2012, Az. I-13 U 80/12) will den Geschädigten bei Vorliegen besonderer Umstände dazu gehalten sehen, günstigere Verwertungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Diese besonderen Umstände sollen vorliegen, wenn die von der Versicherung nachgewiesene Verwertungsmöglichkeit dem Geschädigten ohne weiteres zugänglich ist und ein einschränkungslos annahmefähiges Angebot darstellt. In der Begründung heißt es dazu, dass dem Geschädigten die Annahme ohne überobligatorische Anstrengung möglich sein muss. Was dies im Einzelfall bedeutet, bleibt allerdings offen. Stattdessen wird ausgeführt, dass es aus Sicht des Geschädigten keinen Unterschied machen könne, woher das Angebot stamme. Es müsse sich nur um ein einschränkungslos annahmefähiges Angebot handeln. Was das Gericht unter einschränkungslos versteht, wird leider nicht präzisiert.

Die Dispositionsbefugnis darf nicht unterlaufen werden!

Aber auch das OLG Köln (siehe oben) betont, die Ersetzungsbefugnis gemäß § 249 BGB stehe dem Geschädigten zu und dürfe nicht unterlaufen werden (vgl. u.a. OLG Nürnberg, Urteil vom 25.06.1992, Az. 2 U 766/92). Wörtlich heißt es in dem Urteil: Insbesondere dürfen ihm bei der Schadensbehebung die von der Versicherung gewünschten Verwertungsmodalitäten nicht aufgezwungen werden.

Das Landgericht Bonn hat das ebenso gesehen und den Geschädigten nicht für verpflichtet (gehalten,) nach Vorlage des Schadensgutachtens des Sachverständigen mit der Veräußerung des Unfallfahrzeuges zu warten, bis die Versicherung eventuell ein höheres Restwertangebot vorlegt. Zudem würde man dem Geschädigten die Dispositionsbefugnis in weitem Maße entziehen, wenn man ihn dazu verpflichtete, ein von der Versicherung unterbreitetes Ankaufsgebot anzunehmen. Es kann dem Geschädigten daher nicht versagt werden, das Fahrzeug zu dem vom Gutachter ermittelten-Restwert einem regionalen Händler zu überlassen, zu dem er aufgrund vergangener Geschäftsbeziehungen ein besonderes Vertrauensverhältnis unterhält und bei dem er aufgrund positiver Erfahrungen in der Vergangenheit auch die Anschaffung des neuen Fahrzeugs vornehmen möchte.

Der Unfallfragebogen ist für den Restwert irrelevant!

Der Hinweis im Unfallfragebogen war für die Restwertvermarktung ohne Bedeutung. Der Hinweis war zwar vorhanden, aber er war weder optisch hervorgehoben noch eindeutig formuliert.

Das Gericht kam daher zu dem Schluss, dass sich aus der Nichtbeachtung kein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht konstruieren lasse. Dies gelte auch mit Blick auf das Urteil des OLG Köln vom 14.02.2005, Az. 15 U 191/04. Einerseits lasse die Formulierung informieren Sie uns bitte auf einen unverbindlichen Charakter schließen; andererseits könne der Geschädigte der Formulierung möglicherweise sind wir in der Lage in keiner Weise entnehmen, dass die Versicherung überhaupt ein höheres Restwertgebot vorlegen könne.

Anmerkung

Das Urteil ist zu begrüßen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine Versicherung die Dispositionsbefugnis des Geschädigten mir einer schwammigen Formulierung unterlaufen können soll. Wäre ein Geschädigter tatsächlich verpflichtet mit der Veräußerung des Fahrzeugs so lange zu warten, bis die gegnerische Versicherung sich zum Restwert geäußert hat, würde er zu deren Gehilfen degradiert und der Sachverständige quasi durch die Hintertür entmündigt (s.a. AG Soest, Urt. v. 25.07.2022, Az. 14 C 22/22).

Abgesehen davon, dass die Versicherung einen höheren Restwert von sich aus gar nicht garantieren kann, wäre der Geschädigte im Extremfall sogar dazu gezwungen, sich zusätzlich nochmals selbst zu schädigen. Denn ebenso wenig wie gesichert ist, dass die Versicherung ein höheres Angebot vorlegen kann, so wenig lässt sich ausschließen, dass dem Geschädigten ein günstiges Angebot entgeht, wenn er das Fahrzeug – infolge einer Wartepflicht – nicht im Rahmen der Ersatzbeschaffung bei dem regionalen und ihm vertrauten Händler in Zahlung geben kann. Würde die Versicherung hierfür aufkommen?

Weitere Fragen stellen sich auch in Hinblick auf die Länge der Wartezeit. Wie lange sollte ein Geschädigter denn warten? Wer würde die zusätzlichen Mietwagenkosten übernehmen? Würde die Versicherung diese widerspruchlos begleichen? Es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass sie sich auf die Verletzung der Schadenminderungspflicht berufen und versuchen würde zu kürzen. Nähme man die Auffassung der Versicherung für bare Münze, befände sich der Geschädigte in einem unauflösbaren Widerspruch… insbesondere wenn die Versicherung kein besseres Angebot findet.

Dem OLG Frankfurt zufolge (Urt. v. 19.01.2010, Az. 22 U 49/08),  ist ein Geschädigter zur Annahme eines Restwertangebots ohnehin nur verpflichtet, “wenn auf diesem klar und deutlich die kostenfreie Abholung gegen Barzahlung vermerkt ist und er ohnehin bereit ist, das Fahrzeug sofort zu verkaufen. Benötigt der Geschädigte noch Zeit, über eine anderweitige Verwertung zu entscheiden, muss er auf ein zeitlich befristetes Angebot nicht eingehen.” 

Das Sachverständigengutachten wird entwertet

Aber auch der Sachverständige käme nicht ungeschoren davon. Die Wartepflicht würde das Gutachten – zumindest in punkto Restwert – zur Makulatur machen. Welchen Wert hätte ein Gutachten, wenn der vom Sachverständigen – rechtsprechungskonform – ermittelte Restwert systematisch angezweifelt wird?

Sollte es wirklich so sein, dass dieser Wert nur als letzte Absicherung der Versicherung und für den Fall dienen soll, dass sich – über nicht allgemein zugängliche Kanäle – kein höheres Gebot erzielen lässt? Der nächste Schritt wäre vermutlich die industrialisierte, maschinelle Gutachtenerstellung mit standardisierten Pauschalwerten. Wie bei den “Prüfberichten” könnte dann zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass sie in erster Linie anhand der vielmehr nach den Vorgaben der Versicherer  erstellten würden. Aber auch die regionalen Händler würden nur als letzter Ausweg missbraucht, und die Chance, selbst auch mal an ein attraktives Fahrzeug zu kommen, wäre dahin.

Sondermarkt bleibt Sondermarkt

An den tatsächlichen Gegebenheiten des Sondermarktes hat sich seit Jahren kaum etwas geändert. Er ist dem Geschädigten nach wie vor nicht ohne erhebliche Mühen und schon gar nicht ohne Weiteres zugänglich. Vom Grundsatz her können inzwischen zwar auch Privatpersonen Fahrzeuge auf derartigen Plattformen einstellen. Der damit verbundene Aufwand kann einem Geschädigten – im Gegensatz zur unkomplizierten Einschaltung des Sachverständigen – allerdings nicht zugemutet werden.

Fazit und Praxistipp

Als Geschädigter sollte man nicht klein bei geben, wenn die Versicherung die Leistungen kürzen will, weil man angeblich gegen die Schadenminderungspflicht verstoßen hat. In einem solchen Fall sollte man auch nicht versuchen selbst tätig zu werden, sondern gleich einen Anwalt einschalten. Versicherungen sind keine Wohltätigkeitsvereine, sondern arbeiten nach betriebswirtschaftlichen Kriterien. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, denn nur eine wirtschaftlich gesunde Versicherung kann auch Schäden bezahlen. Das muss dann aber auch vollständig geschehen, und die gerechtfertigten Ansprüche des Geschädigten dürfen nicht zusammengekürzt werden. Damit Ihnen das nicht passiert, stehen die Anwälte der Kanzlei Voigt bereit. Wir stehen auf Ihrer Seite als Geschädigter! Sprechen Sie mit uns!

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Bildnachweis: RyanMcGuire / Pixabay

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