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Geschädigte müssen nicht die eigene Vollkaskoversicherung einschalten!

Nach einem Verkehrsunfall kann sich die Regulierung des entstandenen Schadens hinziehen. Haftpflichtversicherern wird eine mehrwöchige Frist zur Prüfung des Schadensfalls zugestanden, bevor eine Aussage zur Haftung folgt. Für den Geschädigten, der in dieser Zeit auf sein Fahrzeug verzichten muss, stellt sich dann die Frage, ob er seinen Kaskoversicherer heranziehen muss, um den Fahrzeugausfall möglichst kurz zu halten. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt in seinem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 17.11.2020 (Az.: VI ZR 569/19) klar: Grundsätzlich besteht keine Pflicht den Kaskoversicherer einzuschalten - doch keine Regel ohne Ausnahme.
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28.01.2021
ca. 4 Minuten
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Nach einem Verkehrsunfall kann sich die Regulierung des entstandenen Schadens hinziehen. Haftpflichtversicherern wird eine mehrwöchige Frist zur Prüfung des Schadensfalls zugestanden, bevor eine Aussage zur Haftung folgt. Für den Geschädigten, der in dieser Zeit auf sein Fahrzeug verzichten muss, stellt sich dann die Frage, ob er seinen Kaskoversicherer heranziehen muss, um den Fahrzeugausfall möglichst kurz zu halten. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt in seinem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 17.11.2020 (Az. VI ZR 569/19) klar: Grundsätzlich besteht keine Pflicht den Kaskoversicherer einzuschalten – doch keine Regel ohne Ausnahme.
Was war passiert?
Bei einem Unfall am 16.02.2017 wurde der Wagen einer Fahrzeughalterin beschädigt. Der Unfallgegner hatte den Unfall alleine verschuldet, so dass sein Haftpflichtversicherer zur Regulierung des entstandenen Schadens verpflichtet war. Die geschädigte Fahrzeughalterin ließ ein Sachverständigengutachten über den entstandenen Schaden erstellen und wandte sich damit am 20.02.2017 an den Haftpflichtversicherer. Am 06.03.2017 wies sie den Versicherer auch darauf hin, sie sei finanziell nicht in der Lage die Reparatur vorzufinanzieren.
Am selben Tag wandte sich die Geschädigte an ihren eigenen Kaskoversicherer mit der Bitte den Schaden zu regulieren und erteilte 14 Tage später den Reparaturauftrag. Am 29.03.2017 war ihr Wagen repariert und die Fahrzeughalterin wandte sich erneut an den Haftpflichtversicherer. Dieser regulierte jedoch lediglich 15 Tage an Nutzungsausfall – statt für den gesamten Zeitraum von 42 Tagen. Die 15 Tage setzten sich aus zwei Tagen für die Gutachtenerstellung, drei Tagen Überlegungsfrist (ob der Wagen repariert werden soll oder nicht) und den zehn Tagen der Reparatur zusammen.
Weil der Haftpflichtversicherer nicht bereit war den Nutzungsausfall für die ausstehenden 27 Tage zu je 43 Euro zu begleichen, zog die Geschädigte vor Gericht. Das Amtsgericht (AG) Berlin-Mitte wies die Klage der Geschädigten mit Urteil vom 01.03.2019 (Az. 101 C 3253/17) ab. Auch die Berufung der Geschädigten vor dem Landgericht (LG) Berlin wurde am 05.11.2019 (Az. 45 S 27/19) zurückgewiesen.
Der Auffassung des Landgerichts nach hätte die Geschädigte ihren Kaskoversicherer in Anspruch nehmen müssen als das Gutachten erstellt war, statt abzuwarten, ob der Haftpflichtversicherer seiner Regulierungspflicht in einer angemessenen Frist nachkommt. „Es stehe dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls nicht frei, von einer Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung abzusehen. Er müsse vielmehr so handeln, wie er im eigenen wohlverstandenen Interesse handeln würde, wenn keine Ersatzmöglichkeit bei einem Dritten in Rede stünde.
Die Geschädigte war damit nicht zufrieden und ging in Revision.
Die Entscheidung des BGH
Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf. Es machte deutlich: „Mit der Begründung des Berufungsgerichts lässt sich ein Ersatzanspruch der [Geschädigten] (…) nicht verneinen.“ Grundsätzlich sei ein Geschädigter zwar gehalten den Schaden im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht möglichst gering zu halten. Allerdings gelte das nicht um jeden Preis: „Eine generelle, von den Umständen des Einzelfalls losgelöste Obliegenheit des Geschädigten, die Wiederherstellung im Interesse des Schädigers an der Geringhaltung der Kosten möglichst zeitnah nach dem schädigenden Ereignis vorzunehmen und damit vorzufinanzieren, lässt sich daraus aber nicht herleiten“.
Denn es gilt weiterhin der Grundsatz, dass der Schädiger zur Schadensbeseitigung verpflichtet sein. „Grundsätzlich ist es Sache des Schädigers, die Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist unter Umständen berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen.“ Die Annahme, dass der Geschädigte grundsätzlich zur Vorfinanzierung der Reparatur verpflichtet sei, würde diesen Rechtsgrundsatz gerade ins Gegenteil verkehren. Daher stellt es gerade einen Ausnahmefall dar, „wenn dem Geschädigten im Einzelfall ausnahmsweise ein Zuwarten mit der Schadensbeseitigung als Verstoß gegen Treu und Glauben vorgeworfen werden kann“.
Die Inanspruchnahme des Kaskoversicherers fällt in der Regel nicht unter diese Ausnahme. Denn: „Sinn und Zweck der Kaskoversicherung ist nicht die Entlastung des Schädigers. Der Versicherungsnehmer einer Kaskoversicherung erkauft sich den Versicherungsschutz vielmehr für die Fälle, in denen ihm ein nicht durch andere zu ersetzender Schaden verbleibt“. Die Entlastung erfasse dabei auch die geringere Höhe des Nutzungsausfallschadens.
Außerdem führt die Inanspruchnahme des Kaskoversicherers regelmäßig zu einer Rückstufung, die grundsätzlich vom Schädiger (haftungsanteilig) zu erstatten ist. Allerdings sei die faktische Umsetzung schwierig und mit einer Feststellungsklage und alljährlicher Korrespondenz mit dem Kasko- und anschließend dem Haftpflichtversicherer verbunden, was die abschießende Regulierung hinauszögere. Dabei könnte der Geschädigte durch die Inanspruchnahme des Kaskoversicherers sogar gegen seine Schadenminderungspflicht verstoßen, „wenn nämlich dieser ohne Not einen Rückstufungsschaden auslöst und damit die Gesamtkosten für die Schadensbeseitigung erhöht.
Ein Geschädigter kann indes dann zur Inanspruchnahme des Kaskoversicherers verpflichtet sein, wenn von Anfang an absehbar ist, „dass er einen erheblichen Teil seines Schadens selbst tragen muss und dass die Aufwendungen hierfür den Schaden, der ihm durch den Verlust des Schadensfreiheitsrabatts entstehen könnte, absehbar deutlich übersteigen“. Das war hier jedoch gerade nicht der Fall. Die alleinige Haftung des Unfallgegners und die Einstandspflicht des Versicherers war eindeutig.
Weil das Berufungsgericht jedoch nicht die weiteren Voraussetzungen für die 27 Tage Nutzungsausfall geprüft hatte, wurde das Urteil des Landgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Unter welchen Voraussetzungen ein Geschädigter sich auch an seinen Kaskoversicherer wenden sollte und wann er das nicht braucht, ist für ihn nicht immer eindeutig. Dieser Fall zeigt, dass selbst Gerichte im Einzelfall unterschiedlicher Auffassung sein können. Daher ist es wichtig bereits von Anfang an anwaltlich beraten zu sein. Ein erfahrener Rechtsbeistand kennt die Fälle, in denen es ratsam ist den Kaskoversicherer ins Boot zu holen, wann eine solche Verpflichtung nicht besteht und wie ein Schadensfall nach dem Quotenvorrecht korrekt abgewickelt werden muss – damit Sie nicht auf dem Schaden sitzen bleiben. Die erfahrenen Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt stehen Ihnen gerne zur Seite.

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